Dato: 10. marts 1843
Fra: Carolina, Lina von Eisendecher   Til: H.C. Andersen
Sprog: tysk.

[Oldenburg, 10.3.1843]

Eine fremde Handschrift, ein fremder Name sucht Sie in der grossen Weltstadt auf, doch ich hoffe wenn Sie diese Zeilen gelesen ist Ihnen beides nicht mehr fremd, denn Sie werden fühlen wie lieb und bekannt Sie mir schon lange sind. So lange ich Ihre Schriften kenne ist auch schon der Wunsch in mir lebendig, Ihnen einmal sagen zu können, wie ich sie verstand, wie sie in mein innerstes Seelenleben so tief eingriffen. -

Im Frühling 39 sah ich Sie auf der Promenade in Copenhagen, ich hatte ein Bild von Ihnen gesehn, und erkannte Sie augenblicklich, laut rief ich Ihren Namen, da ich aber im Wagen war, konnte ich meinem ersten Gefühl, Sie anzureden, nicht folgen. Mein Aufenthalt in Copenhagen war nur kurz, mir fehlte der Muth Ihre Bekantschafft zu suchen; ich war noch sehr jung, mein Urtheil mein Erkennen Ihrer Selbst konnte nach meinem Gefühl, Ihnen von keiner Bedeutung sein. Später drängte es mich immer wieder von neuem Ihnen zu schreiben, aber ich dachte mein Brief würde Sie garnicht freuen, Sie würden ihn als ein gewöhnliches Huldigungszeichen annehmen, als ein ganz kleines Blättchen, in dem grossen Lorbeerkranz welchen Ihnen Deutschland geflochten, kurz ich wusste nicht wie Sie ihn aufnehmen würden, und das war mir nach der ganzen Art und Weise wie ich Sie aus Ihren Schriften zu verstehen glaubte, nicht gleichgültig. /

Jetzt ist das anders, jetzt bin ich darüber ruhig, denn ich weiss, dass Ihnen wahre Anerkennung, komme sie von wem sie wolle, immer wohlthuend ist. Meine Mutter welche auf dem Kunstverein in Bremen die grosse Freude hatte Sie zu sehn und zu sprechen, hat mir viel von Ihnen geschrieben. Daß ich Ihnen nun zum zweitenmal so nah war, und Sie doch nicht kennen lernte, hat Muth und Verlangen Ihnen zu schreiben noch erhöht, denn ich denke wenn Sie es wissen, wie mich Ihr ganzes Leben und Wirken, in so hohem Grade interesssirt, werden Sie nicht wieder so nahe sein, ohne mir ein Zeichen davon zu geben.

Wie ich weiß beglückt es Sie, dass man Sie in Deutschland so anerkennt, so versteht, und sehn Sie, ich habe die feste Ueberzeugung daß Niemand Sie beßer erkennt, beßer versteht, beßer in sich aufgenommen hat, wie ich. Ihre Bücher sind mir ein Heiligthum, ich schöpfe Alles aus ihnen, Andacht, Wonne, Schmerz; es ist mir als habe ich eben wegen dieses besonderen Erkennens ein besonderes Anrecht auf Sie. Wie ich auch Ihre Schriften loben höre, nie habe ich ein Lob gefunden was mir genügt hätte, es kann mir im Innersten weh thun, wenn man Sie wie jeden andern Schriftsteller beurtheilt und kritisirt, mir scheinen nur die Menschen würdig Sie zu lesen, welche Sie so lieb haben wie ich. Deshalb spreche ich auch nur mit Wenigen über Sie, und nur da, wo ich fühle daß ich verstanden werde.

Zuerst las ich den Improvisator, er bannte mich schon in Ihren dichterischen Zauberkreis, man hält ihn in Deutschland für Ihr bestes Werk, aber mein bestes das ist der Geiger, darin ist mir das wahre Erkennen erst aufgegangen. Seit den 4 Jahren daß ich ihn kenne verläßt er mich nicht, ich weiß ihn auswendig und doch fühle ich mich stets, wie mit magischer Gewalt wieder angezogen, wenn ich nur das Buch öffne. Zuerst dies träumerisch weiche Kinderleben diese tiefe Poesie in der gewöhnlichsten Alltäglichkeit, diesen Keim zu den beiden Seelen, welche so herrlich unter Ihrer schaffenden Hand aufgehn! Dann kommen die Stürme die Kämpfe, Christian geht in ihnen zu Grunde, Naomi geht zwar siegreich daraus hervor, aber sie hat ihr beßeres Selbst eingebüßt. Die Naomi ist vielfach angefeindet, man versteht sie nicht, man wirft Ihnen vor, Sie hätten diesen Karakter nicht mit Liebe behandelt, er lebe nicht! Mir lebt er, denn ich fühle mit Bestimmtheit es kann solche Naturen geben, ich selbst hätte unter andern Umständen ähnlich werden können. Die Naomi ist eine kühne, ungebändigte, harte Natur, ihr Wendepunkt war die Liebe, die mußte sie zum Engel oder Dämon stempeln. Daß nur ein Dämon daraus wurde haben Sie zu veranworten; ehe sie Ladislaw sah hätte es noch anders werden können. Es überrascht Sie vielleicht, aber ich habe die Naomi lieb, sie interessirt mich mehr wie der Christian, der Naomi kann ich alles nachfühlen (Bitte bekommen Sie hiernach nicht einen gar zu schlechten Begriff von mir). Den Christian hätte ich aber auch nicht geliebt, wenn ich Naomi gewesen, man muß Mitlied mit ihm haben und da kann die Frau nicht bei lieben. Aber der Christian als Ihr Werk betrachtet, ist anders, da ist sein ganzes reiches inneres Leben unbeschreiblich schön und ergreifend; ein großes Talent, eine edle herrliche Seele ist in ihm, und doch wird er unerkannt zu seiner letzten Ruhestätte getragen. Wie manche Seele mag wohl so aus des Schöpfers Hand hervorgehn, die hier unerkannt bleibt. Läßt sich daran nicht die Hoffnung knüpfen, dass es ein Jenseits giebt, wo sie ihren Wirkungskreis finden wird? - Doch der Geiger ist ein für mich unerschöpfliches Kapittel, ich muß davon aufhören, mündlich würde das nicht so bald geschehn, aber schriftlich fürchte ich Sie zu ermüden.

Es ist eigentlich sonderbar, ich hatte gedacht es würde mir so leicht werden, Ihnen alles was ich bei Ihren Büchern denke und empfinde zu sagen, aber das wird es doch garnicht, denn indem ich das eben geschriebene überlese, drückt es nicht den hundertsten Theil von dem aus was ich sagen könnte, es scheint mir alles so kalt so ruhig, Sie können gar daraus nicht sehn wie meine Seele dabei bewegt ist. Aber ich denke ein Dichter versteht es zwischen den Zeilen zu lesen nicht wahr? - Welcher Schriftsteller ist Ihnen am bedeutsamsten gewesen, denken Sie sich Ihre Seelenstimmung wenn Sie ihn lesen, dann haben Sie mein Gefühl für Sie. Was übersetzt ist von Ihren Werken, kenne ich natürlich und besitze es auch. Die kleine Harzreise ist in ihrer poetisch humoristischen Weise allerliebst. Bezaubernd sind die Märchen, und vor allem hat mich "das kleine Meerweib" angesprochen. Wie haben Sie es angefangen, Kind und Mutter auf gleiche Weise zu fesseln? ich glaube es ist die tiefe Poesie, die von der Mutter verstanden von dem Kinde geahnt wird.

O.T. las ich später wie den Geiger, und gefiel es mit so gar gut! ich hatte eigentlich ein Vorurtheil dagegen, da Sie mir so groß, so erhaben in den tiefsten Seelenzuständen sind, so dachte ich würde mir, ein etwas mehr die leichte Seite des Lebens auffassender Roman, wie Entweihung vorkommen. Doch, der hat wohl die höchste Weihe der Poesie empfangen, der Ernst und Scherz so lieblich zu vereinigen weiß. Dies tritt wohl am stärksten in den Monderzählungen hervor, man weiß nicht soll man dem tragischen Bilde Venedig’s, oder dem Kinde welches im neuen Putz auf das Urtheil der Hunde begierig, den Vorzug geben. Mein Lieblings Abend ist die Erzählung vom Polichinell, mit seiner tiefen Innerlichkeit in dem kleinen häßlichen Körper; das giebt wieder so viel zu denken. Sie verstehn es überhaupt anzuregen, jeder Ihrer Gedanken ist ursprünglich, originell, und giebt der Phantasie zu thun.

Aber ich habe wohl schon zu lange mich dem Drange meines Herzens überlassen, wenn es mir nur gelungen ist, Ihnen zu beweisen, wie tief meine Verehrung für Sie, dann ist mein Zweck erfüllt.

Sie haben versprochen wenn Sie Paris verlassen, über Bremen in Ihre Heimat zurück zu kehren; darf ich dann hoffen Sie kennen zu lernen? Läßt es Ihre Zeit zu hierher zu kommen (Oldenburg ist 4 Stunden von Bremen entfernt), so finden Sie bei uns ein offnes Herz, ein offnes Haus! Mein geliebter Mann, der meine tiefe Anerkennung für Sie vollkommen theilt, vereinigt seine Bitten mit den meinigen, und ladet Sie auf das herzlichste ein uns einen Besuch zu schenken. Ist Ihnen das nicht möglich, kommen wir jedenfalls nach Bremen.

Ihr neuestes Werk "Des Dichters Bazar" habe ich noch nicht, wie mein Herz sich darnach sehnt, können Sie sich denken.

Leben Sie wohl, lieber Freund! ich nenne Sie zuversichtlich so, denn Sie werden ja gesehn haben, wie Sie mir das lange in Ihren Büchern geworden sind. Wie glücklich würde es mich machen, wenn Ihnen meine Zeilen einige Freude bereiteten!

Lina von Eisendecher

geb. Hartlaub.

Oldenburg den 10 März 1843

Tekst fra: Hans Christian Andersen / Lina von Eisendecher. Briefwechsel