Dato: 24. april 1829
Fra: Ludolph Schley   Til: H.C. Andersen
Sprog: tysk.

Liebau, d. 24. April 1829

Nun Andersen, mein theurer, lieber Freund, nun wird mir doch Ihr Stillschweigen bedenklich, ich schrieb an Sie den 28. Sept., und sandte den Brief an Consul Lindberg in Elseneur, ich schrieb am 6ten. December, und sandte den Brief an Herrn H. N. Husted, Copenhagen; Nyhavn v. Side #23 und die Zuverlässigkeit beyder Seefarer liegt mir dafür, daß meine Schreiben richtig befördert sind warum haben Sie nicht geantwortet, warum haben Sie mir durch Ihr Stillschweigen eine so peinliche Unruhe verursacht? Ich bin ganz im Dunkeln über Ihr gegenwärtiges Schicksal, ich weiß nicht einmal welchen Ausgang Ihr Examen im October nahm; - und doch wußten Sie, wie sehr mich sein Ausfall interessierte, wie sehr nahe das Resultat desselben mit meinem Gefühle für Sie und Ihr Wohl verflochten ist. Welcher auch der Erfolg jener Kritischen Zeit gewesen seyn mag, warum zögerten Sie ihn mir mitzutheilen Sie hätten in meinem Herzen Ankergrund gefunden für Ihre Freude, wie für Ihren Unmuth, und sich wenigstens gegen mich frey und ungebunden aussprechen können, Meine Trauer über Ihr unbegreifliches Verstummen, giebt mir die eine Vermuthung über die andre ein und wenn diese auch nicht in Zweifel ausarten, in Zweifel die dem trauten Verhältnisse zwischen uns Abbruch thun können, so verbittern mir diese Muthmaßungen doch mehr als eine Stunde, und da Sie sich dieser hätten voraussagen können so wäre es mir wohl lieb gewesen, wenn Sie mir diese trüben Augenblicke erspart hätten, - nehmen Sie diese Worte, die unwillkürlich meiner Feder entflohen nicht als einen Vorwurf, oblgeich Sie ihm ähnlich sehen mögen, tausend unbekannte Umstände können ja Ihre Briefe aufgehalten oder verloren gemacht haben, - aber betrachten Sie das Gesagte als einen Sporn, der sie ohne Zögern an den Schreibtisch treibt, der Ihnen die Feder in die Hand legt und Ihnen einige Worte an mich, die mir als Lebenszeichen von Ihnen dienen können, dictirt, - unterlassen Sie dies ja nicht, selbst wenn ein Brief von Ihnen schon unterwegs oder nach Elseneur abgegangenwäre. /

Mit dem letzten im vorigen Jahre von hier abgegangenen Schiffer schrieb ich im December an Sie; der Capitain der diesen Brief nach Elseneur bringt, ist der Erste der von hier abgeht, angekommen ist noch keiner, mir bleibt also wenigstens die erfreuliche Hoffnung, daß Sie während des Winters einige Zeilen an Lindberg zur Beförderung sandten, und diese jetzt unterwegs sind Gott geb´s; ich hoffe sehr darauf. Wenig Erfreuliches kann ich Ihnen von meinem Winterleben mittheilen, es ist trübe gewesen und voll Sorge; während des Festes war ich krank, kaum genesen, warf mich ein heftiger Ärger am Neujahrstage wieder hin; und ein Anfall heftigen Nervenfiebers folgte; - ich quälte mich 9 Wochen auf einem traurigen Krankenlager; jetzt bin ich zwar in etwas hergestellt, aber meine Constitution ist heftig erschüttert und meine Kraft mitgenommen der Arzt meinte auch eine gänzliche Herstellung könne erst unter einem mittleren Clima bewirkt werden; Indeß hindern mich einige beengende Verhältnisse doch für den Augenblick daran und ich muß mich daher schon gedulden; lange ist aber meines Bleibens hier auf keinen Fall mehr, - ich bin des hiesigen Auffenthaltes satt bis zum Erbrechen, es ist mir durch tausend Unannehmlichkeiten verleidet; ich reise daher ehestens; - ob nach Norden oder Süden (um mit Mignon zu fragen) weiß ich selbst noch nicht, insofern ich aber gehe, schreibe ich sicher, - damit Sie wissen, wo ich bleibe. Ihre Briefe senden Sie nach wie vor hierher nach Liebau, entweder durch Lindberg oder durch Husted. Wenn Sie mich fragen, theurer Freund, was ich in litteris seit meinem letzten Briefe förderte, so bin ich verlegen um die Antwort, denn eigentlich ist nichts geschehen; meine ununterbrochene Krankheit, mein erregter und beunruhigter Gemüthszustand haben wenig Trieb, und noch weniger Lust zum Dichten zurück gelassen; mein Opal ist indeß noch einmal durchgearbeitet, und verdient in seiner jetzigen Gestalt wohl etwas mehr Aufmerksamkeit als zuvor / wie die Stimmung meines Gemüthes, war das Wetter draussen, nur selten hatten wir einen heiteren angenehmen Wintertag, und helle Sonnenblicke dagegen fortwährend Sturm, Nebel und heftige Kälte. Die ältesten Leute wussten sich eines so lange anhaltenden Frostes nicht zu erinnern, denn die Schiffahrt begann 2 Monate später als im vorigen Jahre. Meilenweit hinaus war die See mit Eis bedeckt, und zum erstenmale boten unsre sonst so launigen versandeten Küsten, einen interessanten Anblick dar das Eis lag in Schollen schichtenweis aufeinandergethürmt, und bildete hier und da auf der unabsehbaren Fläche Berge, die bis in die Wolken reichten; davorstehend glaubte man ein gebirgiges Land anstatt der Fläche eines Gewässers zu sehn. Beym Untergang der Sonne die zuweilen Blutroth darüber hing, gewährte das Ganze einen höchst malerischen Anblick; - Nun sind die Gletscher verschwunden die Erde hat ihr Leichentuch abgeworfen, und die Wellen hüpfen ledig und lästig von Strand zu Strand zu Strand; mildere Frühlingslüfte wehen, die Blumen knospen und die Bäume grünen, und wie aus langem Winterschlafe erwacht, füllen Sehnsucht und Wunsch die menschliche Brust. Erstere faßt mich in diesem Jahre mit nie empfundener Gewalt, mir ist immer als müßte ich Flügel haben, als würden sie mir wachsen in der nächsten Secunde, damit ich den Raum messen könne - durch die Ferne, - mir gleich, wohin, nur recht, recht weit von hier; Eine solche bewegte innere Verfassung führt zu nichts Gutem, das weiß ich wohl, und suche daher zu widerstehn, so gut ich kann; - ich arbeite vorzüglich scharf, mache lange, angreifende Spaziergänge um die physische Kraft zu ermüden, ich enthsage mich aller verwirrenden Gedanken, aller trüber Vorstellungen aber es hilft leider nicht immer; zum Schreibtisch darf ich schon gar nicht kommen denn will ich einmal in rechter Lust
hinaus in den Frühlich singen
So stocken die Töne in meiner Brust
So will mir die Harfe nicht klingen
Und sah ich am Ufer der Wellen schlag
Und ihren melodischen Tönen
So schleicht mir die zitternde Sehnsucht nach
So füllt sich mein Auge mit Thränen!

der Arzt sagt, es sey körperliche Schwäche, und vertröstet auf das nächste Seebad, / dies werde ich dann wahrscheinlich noch mitnehmen und dann der traurigen Wüstung Valet sagen; ich habe die brennendste Begierde wieder unter Menschen zu kommen, hier habe ich kaum welche gefunden, die diesen Namen zu tragen verdienten.

Nehmen Sie doch bey Gyldendahls für mich die griechisch römischen Prosa- iker aus, die seitdem herausgekommen sind; schaffen Sie mir auch von diesen Freunden, eine Ausgabe meiner kleinen Schuld, ich habe die sicher verloren oder wahrscheinlich beym Aufräumen meiner Papiere verbrannt - auch die schwedische Uebersetzung er Sämundar-Edda, von Afzelius fehlt mir noch, ich habe wie Sie wissen nur den isländischen Text empfangen. Wenn von Tegnér seit der Fridthiof Sage etwas im Druck erschienen und dieses bey Gyldendahls zu haben ist, so bitte ich ebenfalls es mir zu schicken. Weiß Herr Husted keine direkte Gelegenheit auf hier, so senden Sie alles an Freund Lindberg.

Ist die dänische Litteratur mit irgendetwas erheblichem bereichert worden, ich bitte Sie, schreiben Sie mir etwas darüber, vorzüglich schreiben Sie mir recht viel über Sich selbst, über die Fortschritte Ihrer Studien, über Ihre gesellschaftlichen Verhältnisse, kurz über alles, was Sie selbst betrifft, ich wiederhole es, ich erwarte Ihre Mittheilungen mit großer Begierde. Und nun, Andersen ein Lebewohl für diesmal. - Sehen Sie diesen Brief nicht von einer gar zu trüben Seite an; - oder viel mehr legen Sie ihn nicht einer gar zu trüben Deutung unter, den Kopf behalte ich schon oben, und wenn das nur ist, findet sich das Andre von selbst; Kampf und Streit ist des Mannes Element, um ein Sieger zu werden, braucht man aber nicht immer in die Schlacht zu ziehn, die Siege über uns selbst, sind wenn auch die weniger gekannten doch immer die vor allem anderen herrlichen. - Noch einmal ein herzliches, brüderliches Lebewohl, - denken Sie meiner zuweilen in Liebe, jede Erinnerung die mich an Ihr Vaterland knüpft verenigt mich auch mit Ihnen.

Ihr treueigner Freund

Ludolf Schley.

Tekst fra: Markus Wagner (KB affoto 5763-66)