Dato: 18. april 1830
Fra: Ludolph Schley   Til: H.C. Andersen
Sprog: tysk.

Liebau d. 18. April 1830

Sind Sie wirklich nicht mehr under den Lebenden, - Andersen, oder was ist aus Ihnen geworden? Monate nach Monaten sind im Fluge der Zeit hingerollt, ohne daß ein Wörtchen von Ihnen herüberflog. - Ohne daß eine Bothschaft von Ihnen einkehrte, und mir sagte, - Andersen lebt noch und liebt dich wie vor. - Sind Sie ein Verstorbener oder ein Verlorener? - Das Herz schaudert zurück vor beiden Möglichkeiten, und die Seele trauert über ihn, wie über dem Grabhügel eines Geschiedenen. Ach, es fällt mir so überaus schwer, mich loszusagen von einem Menschen, den ich einmal mit Liebe umfaßte; - das Leben an sich ist ja - so sehr arm und bietet so wenig, daß es dem Menschen nicht zu verargen ist, wenn das, was ihm theuer gewesen, festwächst in seinem Herzen, unbekümmert ob es thäte, wenn die Wandelbarkeit des Lebens oder die Laune des Schicksals es herausreißt, auch ein Stück davon mitnimmt oder es selbst in seinem innersten halten gestört. - Mir fällt es so schwer irgend einen zu vergessen, den ich einmal mit Liebe umfaßte, und da jeder so gern andre nach sich selbst beurtheilte, so glaube ich auch immer dasselbe von anderen, obschon manche bittere Erfahrung mich nur zu oft eines launigern??? belehrt hat. Indessen schweben mir Ihnen gegenüber so manche rosige Erinnerung, so manches Gedächtnis mußreicher Stunden vor, daß ich nicht glauben kann, sie kämen wieder, wie die Schwalben, wenn es warm wird, und die Erde erwacht aus ihrem Winterschlafe. das Leben hat ja auch zuweilen seine Winter, in denen es weniger empfänglich ist für die zarteren Regungen der Freundschaft und des Mitgefühls, /

und das Herz erstarrt liegt unter der Eisesdecke, welche Mußgunst, Haß und Scheelsucht hinüberwerfen aber dann kommt die Liebe doch wieder darüber wie der milde Frühling, und mit ihren warmen Strahlen schmilzt sie die eisige Rinde, lößt die Banden, und läßt das befreite Herz aufathmen in der freien schönen Gottesnatur. - Andersen, mein Andersen, ist es jetzt nicht Frühling in Ihrer Seele? - - doch gewiß, - und wenn nicht - und auch diese Worte fallen nicht hinein wie ein milder Maystrahl und erwecken Sie - dann, doch erst dann sind Sie mir verloren und ich bedaure Sie wie einen Todten! - - -

Ich habe mehrere Briefe an Sie geschrieben, zuletzt ein paar Zeiten durch Alfred von Heyking, den ich Ihnen empfahl, - auf alle, sind Sie mir die Antwort schuldig - können Sie das verantworten? Eine Zeile, ein Wort würde genügt haben mich zu beruhigen. - Andersen, erröthen Sie nicht ein wenig daß Sie auch dies eine mir vorenthielten? waren Sie so gewiß, dies Versäumniß wieder einholen zu können? - Nein, mein Freund, Sie waren es nicht, denn zum zweitenmale hier in Liebau, warf mich im vorigen Herbste eine schwere Krankheit nieder auf das Lager, und wochenlang war ich dem Tode näher, wie dem Leben. Wenn ich dahingegangen wäre in dem Schmerze von Ihnen vergessen worden zu seyn, - wenn ich Ihnen Jenseits mit einer Thräne im Auge entgegen getreten, und gesagt hätte „So ist es dennoch unwahr, daß Liebe, Liebe weckt“ Welche Antwort würden Sie mir gegeben haben? - ich erlasse sie Ihnen, aber geben Sie sie Sich selbst, - und wenn dann irgendein Wehgefühl Sie bewegt, so messen Sie nach diesem, das Meinige ab. - -

Langsam, sehr langsam genese ich von dem heftigen rheumatischen Fieber, das mich den größten Theil des Winters / von allem gesellschaftlichen Treiben ausschloß, und dessen Folgen sich jetzt noch in einem fortdauernden Schmerze in der Kehle äußern; nach dem Ausspruch der Ärzte soll dieser indeß mit der eintretenden warmen Witterung sich ganz verlieren, wird das Seebad später meine sehr geschwächte Kraft ersetzen. Gott gebe es; - Gesundheit ist doch das theuerste Gut, und ohne sie nur ein halbes Wesen der Mensch.

Wenn der Körper leidet, leidet mehr oder weniger die Seele mit ihm, und findet dann weniger als je Beruf zu geistigen Arbeiten; - ich habe deshalb nicht viel zu Tage gefördert. - Ein Siegerlied auf den Frieden von Adrianopel einen Neujahrsnacht- Polterabend Sermon für den Erbfgrafen von Rautenburg, und einige andre Kleinigkeiten sind das ganze poetische Ergebniß des letzten Winters, ich sende Ihnen einliegend davon nur Ersteres. - Da die Übrigen, wenn sie Werth besitzen diesen nur in der Localität ihrer Umgebung empfinden. Dass Siegeslied ist von Bulgarien ins Russische übersetzt, und hat Beifall gefunden, den es aber wahrscheinlich nur der damaligen fest erregten Volkesstimmung verdankt. Indeß habe ich doch eine neue Bearbeitung des Axels vollendet, und werde ich diese hier binnen ganz kurzen unter die Presse legen, so wie sie gedruckt ist, schicke ich sie Ihnen, berichten Sie denn selbst, ob ich in den letzten Jahren vorwärtsgeschritten bin auf dem Wege der Kunst oder zurückgeblieben; - die Gudruna ist mir sehr wenig vorwärtsgerückt, doch das Zwiegespräch mit Grimhildur auf dem Schlangenthurme beendet. -

In meinen häuslichen Verhältnissen fand gar keine Veränderung statt, der Tod der Madame Aurora Harmsen und die Entfernung, des einzigen Menschen, an den ich hier mich mit einiger Innigkeit angeschlossen hatte, die Abreise Bienemanns nach Riga / meldete ich Ihnen schon früher, die Lücken die dadurch in meinem gesellschaftlichen Umgange entstanden sind unausgefüllt, und werden auch wohl bleiben; ich kenne es nicht was es heißt, - Neigungen schnell zu verändern, und halte fest an denjenigen, welche ich einmal in mir aufgenommen habe. Von Ihrem Leben und treiben, von Ihrem Vorwärtsschreiten auf dem Wege der Kunst, von Ihrer Förderung alles Guten und edlen wünsche ich nun zunächst recht viel und ausführlich zu vernehmen. Halten Sie Ihren Bericht nicht zu lange zurück, ich werde die Stunden zählen, bis eine Brieftaube von Ihnen mit einer freundlichen Rune unter dem Flügel hierher fliegt, - damit aber keiner Ihrer Briefe verloren gehe, oder unterwegs auf irgendeine Weise verkomme, so senden Sie fortan selbige unter allen Umständen nach Elseneur, und zwar unter der Adresse, von Lars Lindberg. - dann bin ich sicher Sie regelmäßig zu empfangen; ich selbst weiß keinen sichern Weg meine Briefe an Sie gelangen zu lassen als in dem ich sie an Staatsrath Collin adressire, und werde ich dies so lange thun, bis Ihre Briefe mir eine andre Adresse aufgeben. - -

Wenn es Ihre Zeit erlaubt, so bitte ich Sie in die Gyldendahlsche Buchhandlung zu gehn, und dort nach meiner kleinen Schuld zu fragen, damit ich sie liquidiren kann; - auch nehmen Sie wohl die seitdem für mich eingegangenen griechischen und römischen Prosaiker auf und befördern Sie ebenfalls über Elseneur. - - - Ich werde binnen kurzen einen meiner jungen Freunde - einen Herrn Berkhusen??? an Sie mit der Bitte senden, ihm die Schönheiten Copen- hagens zu zeigen, nehmen Sie Sich seiner so freundlich an wie Sie nur können.

Ihr treuer Freund

Ludolph Schley

Tekst fra: Markus Wagner (KB affoto 5779-82)