Dato: 5. september 1831
Fra: Ludolph Schley   Til: H.C. Andersen
Sprog: tysk.

Liebau d. 05./17. Sept. 1831

der Herbst rauscht über die Fluren und das Laub fällt von den Bäumen, unverkennbare Spuren, daß nun bald die freiere Mittheilung zwischen uns stocken, und das Herz nach gegenseitiger Nachriht darben werde. Lass mich deshalb, du lieber Mensch, die gegenwärtige Stunde benützen, um nach langer Zeit einmal wieder auszuplaudern mit dir, und dir Botschaft und Gruß zu senden, aus der Ferne.

Du wirst nun wohl Heimgekommen sein, von deiner ersten Ausflucht in die Fremde, bereichert mit neuen Ideen, beglückt durch schöne Erinnerungen, und vor allem mit gestillten Schmerzen und beschwichtigter Seele. Es giebt keine sanftere Trösterin, keine zärtlichere Mutter, als wie die Natur. Hast du vertrauensvoll dich gelegt an ihre Brust und vielleicht unbelauscht von der Welt, dein überströmendes Herz in Thränen ausgegossen an ihrem Busen, so fürchte ich für dich nichts mehr, - die Wunde wird narben, und wie über ein geliebtes Grab, wird der nächste Frühling es mit seinen Blumen - oder mit deinen Liederblüthen überziehen. Ich sage nicht, - Vergiss Andersen, - vergiss das schöne seelenvolle Auge, das dir den Himmel deines Lebens und deiner ersten Liebe öffnete; - wer kann vergessen, was eingegraben ist in seine tiefste Seele, und seinem Leben die eigentliche Bedeutung erst geliehen hat; - Nein, nein, vergiss nicht; aber wie die alten ihre Götterbilder, so weise du deinem Götterbilde in dem unbelauschtesten Winkel deines Herzens einen Altar, verhülle ihn mit siebenfachen Schleier und nur in heiligen Augenblicken / lüfte diese, und setze dich zurück in die Zeit, wo es zum erstenmal anfing vor deinem Blick. und nur, um wieder es von ihm zwischen uns. - ???

Auf den Höhen der Herzburg, in den romantischen Theilen Böhmens, wäre ich zwar neben dir gewesen. Dort ist das eigentliche Heimathland der deutschen Sagenwelt, und jeder Fußbreit Erde, klassischer Boden für ein empfängliches Gemüth; ich hoffe du hast viel Stoff mitgebracht aus jenen Gegenden nach Hause, und erfreust und bereicherst damit die Litteratur deines Vaterlandes; vergiss nicht mir von allem etwas zu senden, bis jetzt habe ich von dir noch immer nicht mehr, als wie 2 Bändchen Gedichte, und Kjaerlighed paa Nicolai. Deine Bücher, welche du mir für die Curländische Gesellschaft für Litteratur und Kunst gesendet hast, liegen bei mir; zwar hat es an guter Gelegenheit nicht gefehlt, ich haber aber die Absicht sie gegen Weihnachten, um welche Zeit ich nach Mietau reise, persönlich abzugeben, und dich dann, als Mitglied jener Gesellschaft vorzuschlagen. - Kannst du mir nicht eben diesen Dienst bei der Copenhagener Societe für nordisches Alterthum erweisen? Ich habe schon manches in dieser Hinsicht geleistet, daß mir eine Anwartschaft auf diesen Platz gäbe.

Den Unruhen der Volksbewegungen in Litthauen, und die Verheerungen der Cholera Morbus haben mich in diesem Sommer unausgesetzt an die Stadt gefesselt. Ich habe ihr Weichbild nur einmal auf 2 Tage verlassen, und daher wenig von dem Sommer, oder der Natur genossen. Meine Function als/ Function als Officier in einer der hiesigen Bürgergarden, gab mir in der Bewachung der Stadt und der um sie gezogenen Quarantaine eine anhaltende Beschäftigung; Nun sind die Unruhen gestillt, - die Cholera hat in unsrer Nachbarschaft aufgehört, mir bleibt also mehr freie Zeit wie zuvor, vielleicht daß ich den Spätherbst noch benutze, um auf ein paar Tage zu einer befreundeten Familie auf das Land zu gehen, ich sehne mich sehr dahin. Körperlich bin ich wohl; - und freue mich des Daseins so viel wie ich kann. Als Mensch streite ich eben so viel Streite mit dem Leben, wie meine Seele, um ihren Frieden sich zu bewahren mit dem nach Sinnenlust ringendem Herzen. Ich mag nicht immer nachzählen auf welcher Seite am häufigsten der Sieg ist, hoffe aber, Gott werde darauf gnädiglich richten, und wie ein gütiger Conditor??? das pro & contra nachgiebig gegen einander aufgehen lassen. Ich bin jetzt beschäftigt - 6 Bändchen meiner in den letzten 5 Jahren gearbeiteten poetischen Sachen herauszugeben, sie werden jedoch nicht im Buchhandel erscheinen denn ich treibe nicht gern Handel mit der Poesie, sondern nur für einen Kreis von Freunden und Bekannten abgezogen werden. - Die Schwedenbraut erscheint im 1sten vermischten lyrische Sachen, Romanzen d. E. im 2ten - Gelegenheitsgedichte im 3ten, metrische Uebersetzungen im 4ten, Gudruna im 5ten, diverse im 6ten Bändchen. - Das Werk soll hier mit aller Eleganz gedruckt, und vielleicht eine 2te Auflage des Frithiof als 7. & 8. Bändchen angehängt werden. Die / Schwedenbraut wird schon zu Weihnacht erscheinen und dann in der Reihenfolge die Übrigen nachkommen. Unter den metrischen Uebersetzungen wirst du auf manches stoßen, das aus deiner Feder gekommen ist. Die Sache der Polen, die nun untergegangen scheint, bewegt alle Welt, und wo eine freiheitsdurstige Seele athmet, da steigen wohl glühende Wünsche empor für das, um des Lebens höchstes ringende Volk; - Sie sind unerhört geblieben! Der Richter über den Sternen, hat andre Wege, wie die nach den Hoffnungen der armen Menschenkinder, aber wie diese andern Wege auch sind, das ist mein Trost gewesen, Andersen, als ich gestern Abend mit blutendem, gerissenem Herzen, durch die Straßen der erleuchteten Stadt schritt, die ihre Theilnahme an den Fall Warschaus, ihren Patriotismus, ihre Hingebung an die Zarenkrone, durch eine freiwillige Illumination an den Tag, den richtiger, und für diesen Fall viel zweckmäßiger an die Nacht legen wollte; ich habe in der Stille, höchste krampfhafte Thränen geweint, nicht über den Sturz der alten Fürstenstadt; - nein, über die Zwietracht, über den Hader in dem aufgestandenen Volke! Es muss der Freiheit noch nicht werth sein. Sieh, das ist ein über alle Worte hinaus entsetzlicher Gedanke; - mit allem Heldenmuthe, der bei Termopyle & Sarragossa - bei Sempach und Leiden gezeigt ist, mit aller Todesverachtung von der die Geschichte nur ein Beispiel giebt, haben sie gerungen, gekämpft gegen den fremden Gegner, gegen den gewaltigen Kaiser, - aber sich selbst haben sie nicht besiegen, sich nicht empfänglich machen können für den Geist der Eintracht; - und der Selbstüberwindung, hat das ewige Licht und dessen wohlthuende Wahrheit. Nun ist es aus, rein aus, denn / rein aus, denn welche Vergünstigungen Ihnen Nicolai auch in seiner Großmuth zugestehen mag; und ich stehe dir dahin, er wird kaiserlich großmüthig sein, er wird sie alle aufnehmen zu Gnaden, und sich freuen, der verlorenen, wieder gekommenen Kinder. Welche Vergünstigungen, sage ich, er ihnen auch zugestehen mag, daß warum sie gebethen haben, einen geschworenen Eid, wofür sie hingegeben haben, ihr Blut, ihre Habe, ihr böhmisches Licht der Freiheit, das kann ihnen Rußlands Selbstherrscher nicht geben; denn sein Wille ist selbst unfrei in dieser Hinsicht.

Ich träumte schön! Ich glaubte das polnische Volk einen aus der Asche erstehenden Phönix, der Licht und Leben, um sich breiter, und allmählich aus den Klauen der asiatischen Steppen durch seinen Einfluss freie Bürger, edle Menschen, rege Geister schaffen würde, ich sah den Riesenschritt der Intelligenz in Gedanken, und die Meinigen folgten ihm im kühnsten Fluge. Darum erfüllten mich selbst die in diesem Kampf geübten Greuel nicht mit Entsetzen, ich dachte dies Blut, das in Strömen vergossene Blut, würde die Morgenröthe eines schöneren Tages werden, eines Tages, der weiter leuchten würde, als über Polen allein, es waren Träume! Sie sind verschwunden, verschwunden wie die Seifenblasen des thöricht spielenden Knaben!! - Gute Nacht, Andersen, es ist spät, - ich will schlafen gehen, gute Nacht! Wiege deine Flammenseele zur Ruhe; hoffe nichts, fordre nichts wolle nichts, so fordern es die Machthaber - die Zeit - aber nein, nein, nein, - der Geist hofft, fordert, und will doch; - und ihn werden sie nicht beugen. In deinen Briefen an mich, erwiedre die polnische Sache gar nicht; - fremde Hände sind überall geschäftig. Ich bleibe unverändert dein

Ludolph

/ Herr H. C. Andersen

Copenhagen

von Ludolph Schley

Tekst fra: Markus Wagner (KB affoto 5802-07)