Dato: 5. juli 1836
Fra: Ludolph Schley   Til: H.C. Andersen
Sprog: tysk.

Ich wollte, mein geliebter Andersen, du wärst Zeuge gewesen der aufbrausenden Freude, mit der ich gestern deinen Brief empfing , und deine Frage, ob ich deiner noch gedächte, wäre dann von vorne herein beant- wortet. Ich deiner nicht mehr denken! In manchen trüben Stunden einsamer Öde, deren die letzte Zeit mir oft und viel brachte, wo mein verwaistes Herz nach allem griff, was ihm Kraft und Erhebung geben könnte, habe ich oft den Blick hinaus gesendet in die duftende Ferne, zu den glücklichen Ländern die du durchzogst, und seufzend gesprochen, O wär er in der Nähe, schrieb er doch wieder, es wäre leichter den Kopf aufrecht zu halten! doch fort mit diesen trüben Gedanken, es ist vorüber, es soll vorüber seyn; ich nehme dich wie sonst in meinen, glaubs mir, dir treuen Arm, an meine leichter werdende Brust, und mit dieser Thräne, die ich gewaltsam in meinem Auge zerdrücke, verlasse ich die letzte Spur der Bedrängniß; ich bin nun wieder der mit dir schwärmte, in dem engen Stübchen bei Backe mit dir plauderte, dich tröstete, spornte, ermuthigte - kurz ich bin nichts von allem was ich sonst war, nur dir gegenüber bin ich es noch, ganz noch derselbe Du siehst, Theurer, ich bin verändert, die Ursache ist dir mit drei Worten erzählt, ich liebte und täuschte mich; genug darüber; wozu die Particularitäten! Es ist eine alte Geschichte, und täglich wird sie neu, und wem sie jetzt passiert, dem bricht das Herz entzwei! - Meins brach auch, aber ohne das Beben, das sich in Wechselfällen gefällt, wiederholte deine Geschichte bei mir - die Ähnlichkeit beider, war das einzige dabei was mir besonders auffiel. Ich wollte Einsiedler werden in ein Kloster gehen, ach, was wollte ich nicht alles in der Verwirrung meiner Seele, und bis ich wieder dahin kam mit Nathan sagen zu können „und doch ist Gott, und doch war seine Hand auch das! - Es kam jedoch und seitdem bin ich resigniert; still, geduldig, es war der Wendepunct meines Lebens. Seitdem steige ich nicht mehr rasch und jugendlich frisch zu der lichten Höhe hinauf, ich gehe sorgsam zu den schattigen Thälern hinunter; Sonnenpuncte sind da nicht mehr aber auch keine Stürme, die Extreme reichen nicht dahin, die Leidenschaften beunruhigen, die Herzen begehren nicht mehr, aber unter den / längergewordenen Schatten finden sich die Einsam- gebliebenen, und laben sich an den Bildern der Erinnerung In den lauschigen Kreisen weilen dann alle edleren Gefühle, die dem Menschen mitgegeben sind - die treue Freundschaft, die brüderliche Anhänglichkeit, die Hoffnung auf das Jenseits die - wozu deren Aufzählung, - alle, nur eines nicht - die Liebe nicht, - nun bei so vielen andern wird sich die ja entbeh- ren lassen. Versuchen muß man es wenigstens. Von etwas anderem jetzt.

Jeden Brief, den ich von dir empfing habe ich immer sogleich beantwortet, und meine Briefe schrieb ich sogleich, als ich deine Agnete empfing; deren erster und zweiter Theil mich hingerissen haben - Über den zweiten ich meine eigentlich die Ouvertüre auf dem Meere, weinte ich Ströme von Thränen, ich laß ihn gerade in meiner schoensten Zeit, und fühlte den blutigen Pfeil unter meiner Schwinge selbst, - wenige mögen es dir so nachempfunden haben; - später wußt ich nicht wo du warst, ich hoffte auf deine Rückkehr, und tröstete mich damit, daß dann doch alles zwischen uns sich da wieder anknüpfen würde, wo es sich gelöst habe, und betrog mich darin nicht, laß darum vergessen seyn was hinter uns liegt. Deine Werke, die du mir mit dem letzten Brief gesendet hast, empfing ich noch nicht, der Schiffer der sie mitbrachte, hat sie mir erst zu diesem Abend versprochen. Ich freue mich aber schon auf den morgenden Tag, er ist ein Sonntg, der ganz mir gehört und den ich über deine Dichtungen mit dir theilen will, ich hätte meinen Brief auffschieben können bis dahin, aber ich kann es nicht über mich gewinnen, ihn noch 12 Stunden unbeantwortet bei mir zu lassen; und setzte mich daher heute sogleich dazu. - Hoffentlich sind wir nun wieder mit unsrer Correspondence im alten regelmäßigen Gange, durch Herr Wedersoe in Copenhagen oder durch L. Lindborgs Lake in Elseneur sende deine, meine richte ich an Collin, so lange bis du mir eine andre Addresse aufgiebt. - Schreib nun bald, und Ausführlich, von deinem Leben in der Gegenwart, von deinen Erwartungen und Hoffnungen von der Zukunft, / sag mir ob du wieder genießest, ob du dich frei fühlst, wie der Dichter es soll - ob du lebst, wie er es fordern darf; - auf der Höhe und im Sonnenlichte, nicht allein auf der des Ruhmes und der Bewunderung, sonder auf der schöneren des Befriedigtseyns, und des sich befriedigt Fühlens? Dein Bild erwarte ich mit solcher Ungeduld wie ein Kind die Bescherung am Weihnachtsabend, sende es bald, hörst du recht bald, und denn auch alles das was ich von deinem Arbeiten noch nicht habe. Ich bin in dichterischer Beziehung lange verstummt gewesen und fange jetzt erst wieder an Töne zu gewinnen, in der Zerwürfniß in das ich war hat ich den Treib ganz verloren und den Muth dazu. Es wären alles Jammerlaute gewesen, die ich hätte ausströmen können und die mocht ich der Welt nicht hören lassen, auch schämte sich mein Stolz dem Schmerze Worte zu gönnen, - ich verschloß ihn daher wie den gehässigsten Feind in der tiefsten Tiefe meiner Brust, und vermied alles, was mich an ihn mahnen oder ihn wiedererwecken konnte. Meine litterarische Thätigkeit beschränkte sich daher auf einige historische Bearbeitungen für zwei Zeitschriften in Dorpat, der Refractor und das Inland, deren Mitarbeiter ich bin und auf einzelne Gedichte, die der Augenblicjk entstehen ließ, und die mit ihm verschwunden sind, ich habe kaum Abschriften davon behalten, denn sie waren es nicht einmal werth.

Nun Arbeite ich an dem 4ten Bande meiner Poesien und sende ihn dir hoffentlich bald. - Mein äusseres Leben ist ungemein einförmig, einige befreundete Familien, die meinen Hauptumgang hier bildeten haben im Verlauf der Zeit Libau verlassen, Ersatz für sie fand ich bei andern nicht - ich blieb daher allein um so mehr, da einem anderen Kreise in dem ich lebte jenes Mädchen angehörte, die ich in meinem Wahne für die Meinige hielt, - und die ich noch jetzt nicht sehen kann ohne gewaltig erschüttert zu werden; um dies zu vermeiden, fliehe ich dem ganzen Kreis, und lebe isoliert. Die Entbehrung welche daraus entsteht, ist jedenfalls leichter zu tragen, wie die lächelnde Miene mit der ich ihr gegenüberstehe, und deren Behauptung meine ganze Kraft in Anspruch nimmt. / Meine bürgerliche Stellung ist befriedigender, und so unabhängig und angesehen, wie in meiner Lage es seyn kann; ich habe daher den oft gefaßten Gedanken diese Gegenden zu verlassen, immer wieder aufgegeben, und bleibe für´s Erste noch hier, trotz meiner Einsamkeit. Für das nächste Jahr beschäftigen mich Reisepläne, ich will meine Verwandten in Deutschland und Schweden besuchen, und ein paar Tage bei meinem Freunde Andersen in Copenhagen zubringen. Du wirst doch dort seyn, wo nicht so such ich dich auf wo du bist - ich verliere eine der höchsten Erwartungen, die ich an jene Fahrt knüpfe, wenn ich dich verfehlen sollte, und werde daher im Anfange des nächsten Jahres noch genaue Rücksprache mit dir nehmen. Wie schön soll das Wiedersehen werden! - Da wo wir in Elseneur vor 10 Jahren was sind wirklich schon 10 Jahre, - Christian - soll in Copenhagen vom ersten Augenblicke das Wiedersehen nichts entfrem- detes nichts erkältetes seyn - Also aufs nächste Jahr! Ich will mich den ganzen langen Winter hindurch wärmen an dieser Aussicht.

Diesen Brief bringt dir Herr Oberhara(Abkürzung Amtsbezeichnung?) Harmsen ein Sohn des hiesigen schwedischen Consuls Harmsen in dessen Hause ich mich seitdem ich hierher gekommen bin, befinde. Es ist ein guter, lieber Mensch, leidenschaftlich eingenommen für die Musik, und ausgezeichneter Clavierspieler selbst. Er kennt meine Liebe zu dir, deine für mich, und ist von mir beauftragt, dir meine Grüße zu bringen, und dir so viel von mir zu erzählen, wie du hören willst - Nimm ihn freundlich auf er verdient es. Kannst du während seiner Anwesenheit durch deine Bekanntschaften ihm den Zutritt zu einigen Sehenswürdigkeiten schaffen, oder dich sonst seiner annehmen so thus mir zur Liebe, und rechne auf meinen Dank. Mein Blatt geht zu Ende, laß mich daher schließen für heute; - ich kanns aber nicht, ohne dir zu sagen, das ich mich froh bewegt fühle, froher wie seit lange - Gott lohne dir die schöne Stunde, die du mir geschafft hast - durch eine Ähnliche. -

Lebwohl Bruder - Ewig dein -

Ludolph Schley

Libau 5/17 July 1836

Tekst fra: Markus Wagner (KB affoto 5834-37)