Dato: 11. januar 1846
Fra: Berthold Auerbach   Til: H.C. Andersen
Sprog: tysk.

Das Idyll an der Eisenbahn.

Wie klein und eng ist oft d[as] Endziel des Lebens, nach grass er u. weiter Lebensbahn voll harter Kämpfe; so im grossen so im kleinen Leben. Und am Ende - zwei Schritte Erde, ein vergessener Hügel der bald wieder d[er] Fläche gleich wird.

Wie friedl[ich] müssten d[ie] M[enschen] s[ich] Raum gönnen, wenn sie des Endes gedächten.

Das aber ist der Segen den wir t[rotz] a[llen] Irren u. Kämpfen im Streite empfangen, dass wir im winzigsten Raume d[ie] Unendlichkeit erfassen lernen, ü[ber] d[er] engsten Spanne wölbt s[ich] d[as] Himmelszelt, u. in dem kleinsten Thun stehen wir mitten in d[er] Thätigkeit des All. Wir lernen schon hienieden eingehen i[n] d[as] All in das wir einst [au]fgehen.

Am Saume des Eichenwaldes dort wo der Blick ü[ber] d[ie] weite Wiesenebene hinaus schweift bis z[u] den jenseitigen waldgekrönten Bergen von denen e[ine] Burgruine niederschaut, dort steht e[in] kleines Haus, dessen Gebälk noch in frischer hellbrauner Farbe glänzt, es ist mit dem Giebel dem Thale zugekehrt, das Dach ragt weit vor u. drei Eichenstämme, die eine Vorhalle bilden, tragen den Balkon mit hölzener Brüstung auf welcher Nelken u. Gelbveigelein blühen. Das ist das Haus des Bahnwärters, denn hier neben[an] z[iehen] s[ich] d[ie] eisernen Schienen in kühngeschweiften Bogen hin. D[ie] nüchterne Besinnung hat es [wohl] Verschwendung gescholten, dass m[ an] diese H[äu ]s[e]r so zierlich errichtet u. Musterbilder lä[n]dl[icher] Wohnungen in ihnen erbaut hat, aber d[er] uneigennützige Schönheitssinn hat gesiegt u. im Einklang m[it] d[er] Landschaft stehen diese H[äu]s[er] da als eine Zierde derselben u. finden schon hier u. da in d[en] Dörfern Nachahmung u. dringen s[ich] m[itten] [unter] d[ie] charakterlosen kahlen Wohnungen [mi]t d[ en] starren Wänden ohne Handhabe, d[ie] [au]s d[er] Stadt s[ich] her[über]siedeln. D[ie] Einwohner d[er] Wärterhäuschen scheinen ihnen auch in Ehre z[u] halten, denn nirgends fehlt e[in] kleiner Blumengarten [mi]t Blüten aller Art d[er] d[em] weit weiteres liegenden Kartoffelfelde abgewonnen ist. Wenn ihr von der H[ au ]pt Stadt [au]f d[er] Eisenbahn dahinrollt, an den Feldern vorbei d[ie] s[ich] v[or] d[em] schnellen Blicke w[ie] [e]i[n] Fächer zusammenlegen, wenn ihr seht w[ie] d[ie] Pferde [au]f d[ em] Felde s[ich] bäumen ungewiss ob sie jauchzen oder zürnen ihrem Nebenbuhler dem schnaufenden Dampfross, wenn ihr seht w[ie] d[er] Ackersmann eine Weile d[ie] Hacke ruhen lässt u. euch nachschaut u. dann wieder emsig d[ie] Scholle wendet, d[ie] ihn festhält, wenn ihr dann immer rascher u. eiliger dahinbraust u. d[as] Dampfross schrillend jauchzt, dann wendet schnell ihr Blick n[ach] jenem Wärterhäuschen am Saume des Waldes, dort steht e[in] Mann kerzengerade u. hält d[ie] zus[ammen]gewickelte Fahne u. [unter] d[em] Hause steht seine Frau u. hält [e]i[n] kleines K[ind] [au]f d[em] Arm d[as] d[ie] Hände hin[au]sstreckt ins Weite - grüsst sie! es [i]st Jakob u. Magdalene d[ie] ihren erstgeborenen Sohn den Pathen Heisters [au]f d[ em] Arm trägt. Wenn dann d [ie] rollend [ en] Wagen vorbeigesaust sind u. man hört sie nur noch i[n] d[er] Ferne u. endlich Stille ringsum, dann steckt Jakob d[ie] Fahne [au]fd[en] Pfosten, grüsst sein Weib u.lacht [mi]t d[em] Kinde u. arbeitet dann fleissig [au]f d[ em] Felde. Das selig stille Glück stirbt [nie] [e]s siedelt s[ich] hart neben d[ en] unbeugsam eisernen Geleisen d[er] n[euen] Zeit an.

Das ist der Schluss zu den "Sträflingen", wie ich ihn zuerst niederschrieb u. wie er ein kleines Andenken sein soll für den lieben Freund Andersen

Berthold Auerbach

Leipzig 18. Juli 45 Morgens 9 3/4 Uhr am Tage da ich Sträflinge endete

Weimar 11. Jan. 1846.

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