Dato: 13. februar 1875
Fra: Heinrich Seidel   Til: H.C. Andersen

Berlin d 13/2 1875

Greisenaustrasse 105 II

Sehr geehrter Herr Professor! Indem ich mir die Freihet nehme Ihnen gleichzeitig unter Kreuzband ein Exemplar meines jüngsten Werkes, “Aus der Heimath” zu übersenden, möchte ich gleichzeitig diese Gelegenheit benutzen eine lang gehegte Absicht auszuführen, nämlich Ihnen für alle das Gute und Schöne, welches ich Ihnen zu verdanken habe recht herzlich zu danken. Sie sind mir von meiner Kindheit an ein so lieber Freund gewesen, sie haben mich im Jünglingsalter, wo Herz und Gemuth so empfänglich sind für alle Eindrücke eine so große Wirkung auf mich augeübt, daß wenn eine Anlage in mir vorhanden war und / zur Ausbildung gelangt ist, ist dies zum größten Theile mit den Einflüßen Ihrer Schriften hinzuweisen ist. Ich erinnere mich noch oft mit Entzücken der schönen Sommertage, wo ich im Grase liegend ihre Dichtungen las und wieder las, in ihnen lebte und ganz von ihnen erfüllt war. Sie haben meinen Sinn für die Schönheit der Natur genährt, Sie haben mich getränkt mit den Köstlichsten, was ein Mensch dem anderen bieten kann, und wenn ich nun mit diesem Brieflein zu Ihnen komme, so kommt mir dies fast wie mein pflichhabige Wieder- erstattung vor. Aber Sie sind ein reicher Mann im Gebiete der Poesie, werden Sie nicht die Gabe der Armen verschmähen? Ich glaube es nicht und ich hoffe, daß Sie bei nährer Betrachtung einen Schüler finden werden nicht ganz unwerth seines großen Meisters.

Hochachtungsvoll

Heinrich Seidel

Tekst fra: Solveig Brunholm (KB affoto 5872-73)