Dato: April 1860
Fra: H.C. Andersen   Til: Friederike Serre, f. Hammerdörfer
Sprog: tysk.

[formentlig H.C. Andersens egen oversættelse]

[Friedrich Anton Serres håndskrift]

Die alten Kirchenglocke

Im deutschen Lande Württemberg, wo die Akazien so lieblich auf der Landstraße blühen und wo Apfel- und Birnbäume im Herbste unter dem Segen der Reife sich beugen, liegt eine kleine Stadt, Marbach. Sie gehört zu den ganz geringen Städtchen, schön aber liegt sie am Neckar- fluß, der [overstr: sich] an Städten, alten Ritterburgen und grünen Weinbergen vorüberstürtzt, um seine Gewässer mit dem stolzen Rhein zu mischen.

Es war spät im Jahre, das Weinlaub hing herab mit rothen Blättern, Regenschauer fielen und der kalte Wind wurde immer stärker; es war nicht die erquicklichste Zeit für die Armen. Die Tage wurden finster, und noch finsterer war es drinnen in den alten kleinen Häusern. Eins von diesen lag da mit dem Giebel zur Straße gewandt, mit niedrigen Fenstern, arm und gering war es anzusehen, und so war auch die Familie, die es bewohnte, aber brav und fleißig; und mit Gottesfurcht in der Schatzkammer des Herzens. Noch ein Kind wollte der Liebe Herrgott ihnen bescheren; die Stunde war da, die Mutter lag in Schmerzen und Noth, da drang zu ihr hinein vom Kirchenthurme ein Glockenklang so tief, so festlich, es war eine feierliche Stunde, und der Glockenklang erfüllte die Betende mit Andacht und Glauben; ihre Gedanken erhoben sich so innig zu Gott, und in derselben Stunde gebar sie ihren Söhnchen und fühlte sich so unendlich froh. Die Glocke im Thurme schien ihre Freude über Stadt und Land hinauszuläuten, und zwei klare Kinderaugen schau[te] sie an, und des Kleinen Haar glänzte als sei es vergoldet. Am finsteren Novembertage wurde das Kind mit Glockenklang in der Welt eingeführt; Mutter und Vater küssten es, und in ihre Bibel schrieben sie: "am elften November 1759 gab Gott uns einen Sohn," und später wurde hinzugefügt, daß er in der Taufe den Namen Johan Christoph Friedrich erhalten habe.

Was wurde aus dem Kleinen, dem armen Kinde von Marbach? Ja, das wußte Niemand damals, nicht einmal die alte Kirchenglocke obgleich sie hoch hing und geklungen und gesungen hatte für den, welcher erst das herrlichste Lied von der Glocke singen sollte.

Und [overstr: der Kleine] das Kind wuchs heran, und um ihn herum wuchs die Welt. Zwar zogen die Eltern nach einer andern Stadt, aber Liebe Freunde blieben in dem kleinen Marbach zurück, und daher kamen auch Mutter und Sohn eines Tages dort zum Besuche. /

Der Knabe war [overstr: nicht] kaum sehs Jahre alt, er wußte aber schon etwas von der Bibel und der frommen Psalmen, er hatte schon manchen Abend von seinem Rohrstühlchen der Vater Gellerts Fabeln und den Gesang von Messias vorlesen hören; heiße Thränen hatte er und die zwei Jahre ältere Schwester geweint, als sie lesen hörten von dem, der zu unser Aller Heil den Tod am Kreuze erlitt.

Bei dem ersten Besuche in Marbach hatte sich die Stadt nicht besonders geändert; es war ja auch nicht gar lange her, seitdem sie fortgezogen waren; die Häuser standen wie früher mit den spitzen Giebeln, den [overstr: hängenden Mauern]schiefen Mauern und niedrigen Fenstern; auf dem Friedhofe waren neue Gräber hinzugekommen, und dort, fast an der Mauer, stand jetzt unten im Grase die alte Glocke, sie war von ihrer Höhe heruntergefallen, hatte einen Sprung bekommen und konnte nicht mehr läuten; eine neue hatte ihre Stelle eingenommen.

Mutter und Sohn waren auf den Friedhof eingetreten, sie standen vor der alten Glocke, und die Mutter erzählte ihrem Kinde wie die Glocke mehrere hundert Jahre ihr Wert verrichtet hatte, wie sie zur Kindtaufe, zur Hochzeitsfreude und zur Beerdigung geläutet, wie sie von dem Feierjubel und dem Feuerschrecken gesprochen [overstr: hatte, und nie vergaß], ja wie die Glocke ein ganzes Menschenleben ausgesungen hatte, und nie vergaß das Kind, was die Mutter erzählte, das Klang wurde in seiner Brust bereit, daß er es als Mann aussingen mußte. Und die Mutter erzählte ihm, wie diese alte Glocke ihr selbst in der Stunde der Angst, Trost und Freude zugeläutet hatte, und gesungen und geklungen hatte als ihr lieber Söhnchen ihr beschert wurde. Und das Kind betrachtete fast mit Andacht die große, alte Glocke, es beugte sich hinab und küßte sie, wie alt, zersprungen und hingeworfen sie auch da stand zwischen Gras und Nesseln.

Und sie blieb in der Erinnerung des kleinen Knaben, der in Armuth emporschoß, lang und mager, mit rötlichem Haar, sommerflecking im Gesicht, ja, das war er, aber zwei Augen hatte er, klar wie das tiefe Wasser. Wie ging es ihm? Es ging ihm gut, zum Beneiden gut! Er war in höchster Gnade in die Kriegsschule aufgenommen, in der Abtheilung wo geringeren Leute Kinder waren, das war ja aber eine Ehre, ein Glück; er trug Gamaschen, eine steife Halsbinde, und gepuderter Perücke; er bekam Unterricht, und die wurde ihm unter "Marsch!" "Halt!" "Front!" [ovrstr: zugestellt] beigebracht; da konnte schon was herauskommen,/

Die alte Kirchenglocke, verborgen und vergessen, würde wohl einmal in den Schmelzofen gebracht werden, was würde dann herauskommen? Ja, das war nicht möglich zu sagen, und es war eben so unmöglich zu sagen, was einmal aus der Glocke in der jungen Brust herauskommen würde; es war drinnen ein Metall, welches erklang und in die weite Welt hinaushallen müßte, und je enger es hinter den Schulmauern wurde, und je betäubender das »Marsch!« »Halt!« »Front!« erschallte, desto heller klang es in die Brust des [overstr: Jünglings] jungen Mannes, und er sang es dem Kreise der Kameraden, und der Schall ging über das ganze Land hinaus. Dafür aber hatte man ihm aber nicht Schulunterricht, Kleider und Post gegeben; die Nummer hatte er bekommen zu dem Stift, den er vorstellen sollte in dem großen Uhrwerk, wohin wir alle in dem handgreiflichem Nutzen hingehören. – Wie wenig verstehen wir uns selbst! wie sollten dann die Anderen, die Besten sogar, uns immer verstehen können? Durch den Druck aber wird der Edelstein erschaffen; hier war der Druck, mit Ihr Zeit sollte die Welt den Edelstein kennen lernen?

Große Festlichkeit war in der Hauptstadt des Landesherrn, tausend Lampen leuchteten, Racketen funkelten; dieser Glanz wird nur noch erinnert durch den, der damals in Thränen und Schmerzen, unbeachtet, fremden Boden zu erreichen suchte; von dem, der vom Vaterlande, von der Mutter, von allen seinen Lieben fort, oder im Strome der Gewöhnlichkeit vergehen mußte.

Die alte Glocke hatte es gut, sie stand in Schütze an der Kirchenmauer in Marbach, verborgen, vergessen.Der Wind fuhr über sie hin und hätte erzählen können von dem, bei dessen Geburt die Glocke geläutet hatte, erzählen können, wie kalt es ihn angeweht hatte ganz kürzlich als er, von Müdigkeit erschöpft, im Walde des benachbarten Landes zu Boden sank, wie sein ganzer Reichtum und die Hoffnung der Zukunft nur geschriebene Blätter der ”Fiasko” waren; der Wind hätte erzählen können von den einzigen Beschützern, die ja alle Künstler waren; und die sich von der Vorlesung der Blätter wegschleifen um sich am Kegelspiel zu ergötzten. Der Wind hätte melden können von dem blassen Flüchtling, der Wochen, Monate lang in der armen Wirthstube lag, wo der Wirth tobte und trank, wo rohe Lustbarkeit herrschte, während er von dem Ideale sang. Schwere Tage, finstere Tage! das Herz muß selbst leiden und prüfen, was es heraussingen soll.

Finstere Tage, kalte Nächte gingen über die alte Glocke hin; sie empfand es aber nicht. Doch die Glocke in der Menschenbrust empfindet die Zeit ihrer Drangsele. Wie ging es dem jungen Manne? Wie ging es der alten Glocke? Nun, die Glocke kam weit weg, weiter als sie sogar von ihrem erhabenen Platze im Thurm hätte gehört werden können. Und der junge Mann, - nun, die Glocke in seiner Brust erschallte weiter weg, als sein Fuß gehen als seine Augen sehen sollten, sie sang und klang und klingt noch über das Weltmeer, und das Erdenrund. Hört nun erst von der Glocke! Die wurde aus Marbach weggebracht, wurde als altes Kupfer verkauft und sollte im bayrischen Lande in den Schmelzofen geworfen werden. Wie und wann kam sie dort hin? Das mag die Glocke selbst erzählen, wenn sie es kann, es ist nicht von größter Wichtigkeit; gewiß aber ist es, daß sie nach der Königsstadt Bayerns kam. Viele Jahre waren verflossen, seitdem sie vom Thurme herabfiel; jeyzt sollte sie eingeschmolzen werden; sollte mit zum Gusse eines großen Ehrendenkmals, einer Gestalt der Größe für das deutsche Volk und Land. Hört nun wie es sich traf; wunderlich und herrlich geht es doch in dieser Welt. Droben In Dänemark, auf einer der grünen Inseln, wo die hohen Buchen wachsen und die vielen Hünengräber stehen, lebte ein ganz armer Knabe, der in holzernen Schuhen ging und seinem Vater, , der auf dem Schiffswarftte ging und in Holz schnitzelte, das Essen in einem alten Tuche zubrachte; das arme Kind war der Stolz seines Vaterlandes geworden, er stellte in Marmor Herlichkeiten dar, daß die Welt staunte.und eben ihm ward der ehrenvolle Auftrag im Thone eine Gestalt der Größte und Schönheit zu formen, die in Metall gegossen werden sollte, das Bild desjenigen, dessen Namen der Vater in seine Bibel geschrieben hatte. [overstr: Johann Christoph Friedrich].

Und das Metall floß glühend in die Form, und die alte Glocke – ja, es dachte Niemand an ihre Heimat, an ihr hingestorbenes Läuten – die Glocke floß mit in die Form und bildete Haupt und Brust des Standbildes, das jetzt entschleiert da steht in Stuttgart vor dem alten Schloße, auf dem Platze, wo er, den es vorstellt, im Leben, im Kampf und Streben, von der Außenwelt gedrückt herumging, er, der Knabe aus Marbach, der Karlsschüler, der Flüchtling, Deutschlands großer, unsterblicher Dichter, welcher da sang von dem Befreier der Schweiz und der gottbegeisterten Jungfrau Frankreichs.

Es war ein schöner, sonniger Tag, Fahnen flatterten von den Thürmen und Dächern im königlichen Stuttgart, Kirchenglocken läuteten zum Fest und zur Freude, nur eine Glocke schwieg, sie leuchtete in dem hellen Sonnenschein, leuchtete vom Gesicht und Brust des Kupfers gestalt; es waren gerade hundert Jahre verflossen seit dem Tage, da diese Glocke in Marbachs Thurm der leidenden Mutter Freude und Trost zuläutete, als ihr das Kind geboren wurde, arm im armen Hause, einst der reiche Mann, dessen Schätze die Welt segnet er der Dichter des edlen weiblichen Herzens, der Sängers des Großen und Herrlichen, Johann Christoph Friedrich Schiller.

H.C. Andersen.

Tekst fra: Solveig Brunholm