Bremen den 1 Juni 1844
Ihr Brief traf mich schon hier, lieber Andersen, ich bin eigentlich ganz unglücklich über unsere verschiedenartigen Pläne, wenn ich sie nicht sehe werde ich wahrhaftig ganz traurig.
Gleich nachdem ich Ihnen neulig geschrieben bekam ich die Nachricht daß die Hochzeit meines Bruders am 9. Juni sein sollte, ich wollte Ihnen nun gleich schreiben wie dies unsere Pläne änderte und wir sie nun jedenfalls schon Mitte Juni zu erwarten hoffen dürfen. Da kam ich hierher zu meinen Eltern, und fand leider meinen Vater sehr krank, dadurch sind nun wieder alle meine Einrichtungen gestört, denn jetz kann ich natürlich nicht daran denken wieder fortzureisen, und der Himmel mag wissen wann es beßer werden wird. Haben Sie jemals die entsetzliche Qual kennen gelernt ein geliebtes Wesen sehr krank zu wissen? ach es ist fürchterlich. /
Mit Gewißheit Ihnen nun den Tag meiner Abreise von hier zu schreiben ist unmöglich. Aber sehn muß ich Sie doch; wenn Sie doch erst nach Berlin, Dresden und Weimar gehn könnten, nach Helgoland gehen wir erst Ende Juli (nicht Juni) oder auch Anfangs August, wie ganz herlieh wäre es wenn wir Sie im Juli sehn könnten, unsere Badereise können wir einrichten wie es uns paßt, wenn es auch August wird. Und dann je länger Sie bei uns bleiben, je mehr erfreuen Sie uns. Ist es Ihnen nun aber nicht möglich auf der Rückreise zu kommen, dann suchen Sie doch wenigstens bei Ihrer Reise nach dem Harz, über hier zu kommen, dann sehe ich Sie doch, wenn Sie auch nur kurz hier sind. /
Wenn ich mir denke daß Sie in Deutschland sind ohne daß. ich Sie sehe mögte ich wahrhaftig weinen, wäre nur der Vater nicht krank, ginge ich jedenfalls gleich nach der Hochzeit wie der nach Oldenburg, aber daran ist jetz nicht zu denken. So recht wie ich mögte wage ich garnicht Sie zu bitten zu kommen, weil ich jetz so sehr fürchte Sie in Ihren übrigen Plänen zu hindern. Aber ich denke Sie wissen es schon wie sehr mein Mann sowohl wie ich uns freuen werden wenn wir Sie sehn.
Und wie gesagt die Hoffnung gebe ich nicht auf, wäre es auch nur hier für einen Tag.
Mein Mann ist jetzt nachdem er mich hierher gebracht wie der in Oldenburg, er schickte mir Ihren Brief von dort, wie sehr wünscht er auch daß Sie kommen mögen, kommen Sie nur über Bremen, dann soll er jedenfalls hierher kommen um Sie zu sehn.
Tausend Dank für die lieblichen Verse, sie sind alle so schön, daß ich sie nicht oft genug lesen kann, auch die Uebersetzung scheint mir gut zu sein. Ich muß Sie doch wirklich einmal wieder sprechen, um von Ihrem geistigen Leben und Treiben zu hören. Sie müssen mir wieder Märchen erzählen, mein kleiner Herr wird nun auch schon zuhören und sich daran erfreuen.
Da fällt mir noch etwas ein, sollten Sie nach Weimar kommen, ehe ich Sie sehe, so mögte ich Ihnen noch sagen daß jetz dort ein genauer Bekannter von mir ist den Sie auch bei uns oft gesehn, ein Baron von Beaulieu Marconnay, er würde sich sehr freuen Sie wiederzusehn, da er sich sehr sehr lebendig für Sie interessirt, bitte bitte gehen Sie zu ihm wenn es Ihnen möglich. Sie werden diesen flüchtigen confusen Brief kaum lesen können, aber ich wollte Ihren Brief gerne gleich beantworten, und er kam erst heut in meine Hände, weil er den Weg über Oldenburg genommen.
Leben Sie recht wohl lieber Freund, und vergeßen Sie nicht. daß es mein dringenster Wunsch ist Sie zu sehn, meine Badereise richte ich ganz nach Ihren Wunsch ein; Sollten Sie auch nur über hier kommen so schreiben Sie mir wenn es möglich ist mit zwei Zeilen, damit ich Sie doch nicht um eine Secunde verfehle.
Mit treuer Freundschaft
Lina von Eisendecher.