Dato: 7. marts 1845
Fra: H.C. Andersen   Til: Carl Alexander
Sprog: tysk.

Kopenhagen 7 Martz 1845

Mein edler Erbgroßherzog!

Mitten im Schnee und Eis kam Eurer Hoheit lieber Brief wie ein frischer Frühlings Strauß; meinen innigen herzlichen Dank dafür. Wir liegen hier in Kopenhagen ganz im Eis eingeschlossen, oder man kan auch sagen: Dänemark und Schweden sind jetz ein festes Land geworden; der Sund zwischen Kopenhagen und Schweden ist wie ein großes Eisfeld; jeden Tag kommen Schweden, Männer und Frauen, sogar Kinder hieher, und die Reise ist weit, vier deutsche Meilen; die Leute kommen zu Fuß oder auf Schlitten; Vorgestern kam so gar eine Omnibus mit 22 Personen, die schwedische Flagge wehte hoch in die Luft, die Leute kamen mit Gesang und lustigen Sinn, sechs Meile jenseits aus der schwedischen Stadt Landscrone [soll heißen: Landskrona]. Das Meer ist eine lebendige Landstraße geworden und die Eisrinde eine, bis zwei Ellen dick. Sogar Damen kommen hieher und besuchen unsere Theater. Bey Helsingöer ist der Sund nur eine Meile, und da geht es noch mehr lebendig, da stehen Zelte, da wehen Flaggen, da wird gekocht und gewirtschaftet auf dem Meere; am letzten Sontag kamen da von Schweden 2500 Personen und 2000 Dänen sind nach Schweden hinüber promenirt; des Abends war ein Fackelzug von Helsingborg nach Helsingöer.

Auf dem sogenannten großen Belt zwischen Seeland und Fühnen ist der Strom so stark daß es noch nicht recht zufrieren will; / auf der einem Meile zwischen die Insel Sprogö und Fühnen kan die Reise 36 Stunden dauern, es ist lebensgefährlich; große Eisschollen gehen wie Federballen im Strome und mehrere Schiffe mit Noth-Flagge, die gar nicht geholfen werden können, treiben umher. Ein Bekannter von mir, der Graf Trampe, war neulich mit der Deligence 22 Stunde auf einem Eisstück und trieb in Nacht und Schneesturm in das Kattegat hinaus, aber glücklicherweise drehte sich der Strom, und das Eis, wo Kahnen und Pasagieren lagen, trieb wieder zurück gegen die kleine Insel.

Mein Märchen-Komödie: "Die Glücks Blume", ist schon fünf Mahl aufgeführt und hat vielen Beifall geerntet; Eine unsere ammeisten gelesenen Zeitungen spricht sich so über das Stück aus. "- Im Ganzen ist es höchst merkwürdig, ja ohne Zweifel das einzigste Exempel in seiner Art, in unserer ganzen Theater-Geschichte, daß ein Stück, worinn die Hauptpersonen gar nicht handeln und worinn die ganze Anlage vom Geburt aus, mit allen bestehenden und angewöhnten dramatischen Regeln im Streit ist, sich dennoch nicht allein halten kann, sondern noch dazu die Zuschauer in einem ungewöhnlichen Grade zu feßeln vermag. Dies zeugt unstreitig von einem poetischen Vermögen welches mächtig genug ist, um alle die technischen Griffe und mühsam ausgedachten Berechnungen aufzuwiegen, die sonst für nöthig angesehen werden, wenn eine Komedie vom Stapel laufen soll. Um aber "Die Glücksblume" Recht gescheen zu laßen, muß man größtentheils auf die Beqwemlichkeit Versicht thun, die Regel anzuwenden, die von einem gewöhnlichen - z.B. sirchischen [soll heißen: griechischen] Theaterstück gilt. - In diesem Werke offenbart sich einen Dichter-Genius, welcher sich in der regelrechtgebauten Theaterstücken, nur all zu selten sehen läßt. Die Frische und Phantasie-Fülle, welche dies Gedicht durchströmen, giebt es eine so große poetische Lebhaftigkeit, daß man, unter der Darstellung auf der Bühne es mit einem Interesse folgt, das selbst das / regelrechte und in allen Einzelheiten motiwirte Drama, sehr oft nicht zu erwecken vermag!" - u.s.w.

So freundlich, milde ist meine neueste dramatische Arbeit in Dänemark beurtheilt worden, und da ich glaube daß Ew: Hoheit gnädigst meine Freude mit mir theilen, erzähle ich es. Bald kommt mein neuer Operntext "Kirstinchen", mit Musik von Hartmann. Unsere Bühne ist diesen Winter so reich an dänischen Original-Stücken wie vielleich in keiner Stadt, Paris ausgenommen; wir haben mehrere neue Dramen, Lustspiele, Opern und Balletten, eine neue ist componirt zur Festvorstellung, sagt man, wenn in Mai der König von Preusen, wie man glaubt, nach Dänemark komt.

Ich habe wahre Sehnsuch nach Deutschland, nach den Geistes Stadt Weimar, nach Euer Hoheit, die ich verehre und liebe! mit den Reise-Plänen für den künftigen Sommer ist es noch nicht im Reinen; mitten in Juli wird im Skanderborg, in Jütland, das Monument des verstorbenen Konig Friedrich die VI, abgehüllt; beim Todtenfeier des Königs hatte ich die Kantate geschrieben, und diese fand Anklang, deswegen bin ich jetz durch die Kommittee aufgefordert, die Einweihungs Gesang zu schreiben und zum Feste eingeladen; wenn Gott will gehe ich auch dahin, da kommt der Konig; viele Menschen aus Dänemark und die Herzogthümer werden sich auch da einfinden. Im September bin ich eingeladen nach Augustenburg, der Herzog und die Herzoginn feieren Ihre silberne Hochzeit. Gott weiß darum ob ich in der Zwischen-Zeit nach Deutschland komme, und bei dem Namen: Deutschland denke ich an Ettersburg, aber komme ich nicht im Sommer, dann hoffe ich der ganzen künftigen Winter im Auslande zu zubringen, und ich sehe Euer Hoheit, die liebenswerdige Erbgroßherzoginn, die hohen Eltern, und kann dem kleinen Prinz ein Mährchen zunicken, er lebt und blüht! - Für d: weimarisches Herder-Album, meine innigste Danck! /

Darf ich bald einen neuen Brief von Euer Hoheit hoffen? d: 2te April ist mein Geburttag, vieleich kommt dann einen Brief, ein solcher wirft immer Freude und Festlichkeit in meine Brust, und dann singt und blüht sie, da gucken die Mährchen und Lieder hervor die Sie, leider nur in fremden Kleidungen kennen, welche bald zu breit, bald zu eng sind. O, wenn ich auf Deutsch dichten könnte! aber die Musa hat nur meine dänischen Lippen geküßt. Meinen innigsten, erfurchtsvollen Gruß an Ew: Hoheit, an die Frau Erbgroßherzoginn und die hohen Eltern, so auch, wenn ich bitten darf, an d: Frau von Groß, die Hofdamen [eingefügt: die Hofdamen] den Kancler Müller, Beaullieu, Eckermann & Ihr Hoheits inniger

ergebener

H.C. Andersen

Tekst fra: Ivy York Möller-Christensen