Dato: 7. juli 1846
Fra: H.C. Andersen   Til: Carl Alexander
Sprog: tysk.

Vernet. (Pyrenees-orientales) 7 Juli 1846.

Mein lieber, edler Erbgroßherzog! Auch in Marseille war Eurer Konigliche Hoheits Brief der erste, der einzige, den ich bekam; wie sind Sie edel und gut! ich liebe Sie auch wie ein Herz den Freund lieben kann, mein hoher Herr! unsere Briefe sind alle sehr glücklich gegangen, auch daß wir uns eben so glücklich, nach 6 oder 8 Wochen treffen werden. Ich bin in Neapel sehr leidend gewesend; es war einige dreyzige Grade im Schatten; die Sonne stand wie ein Wampyr, der Blut und Mark aus den Glieder saugt; so was habe ich früher nie gekannt! vom 10 Uhr Morgens bis 5 Uhr Abends konnte ich nicht ausgehen; ich lag erschöpft auf dem Sopha; nerveus durch und durch, ging der Lärm in Neapels Straßen wie ein brausende Struddel durch die Ohren bis in die Fingerspitsen; es war ein Lärmen von schreienden Leuten, rollenden Wagen, arbeitenden Handwerkern, Droscke-Pferden, die von Fliegen umkreiszt nicht stehen wollten und mit dem Vorderfuß immer gegen die Pflastersteine schlugen, mein Nachtbar gegenueber spielte von Morgens in die Nacht hinein Klavier, und nur Scala, man konnte wahnsinnig werden. So schwach wie ich war ratheten mir Alle, daß ich nicht nach Spanien gehen sollte, daß ich da die Hitze nicht aushalten könnte; ich hoffte aber, daß die Seereise nach Marseille mich stärken würde, und nahm Platz auf dem erkannten guten Dampschiff Castor. Der 23 Juni gingen wir fort, das Schiff aber war ueberfüllt mit Menschen und Wagen. Die erste Nacht ging ziemlich gut, aber d: zweite und dritte war schrecklich. Es war stürmisch; das Schiff schwanckte wie eine Tonne auf offenem Meere; wir konnten weder gehen noch stehen; ich und mehreren Herren und Damen lagen neben ein ander unter die Wagen; Alles krachte, jeden Augenblich schlugen die Wellen seitwärts auf das Verdeck, und die Wagen schwankten so ueber uns als ob wir zerschmettert werden sollten. Des Abends den 24 Juni, da Eurer / Konigliche Hoheit zum Feste ins Theater kam, da in Jubel und Freude empfangen war, lag ich stille, von den Wellen herumgeworfen, und dachte an Sie, mein lieber, hoher Freund! dachte an Eurer K: [eingefügt: K:] Hoheits Geburtstag, den ich nicht feiren konnte. In der Nacht war es noch schlimmer, die Frauen jammerten, das Schiff glaubte ich mußte zertrümmern; ich dachte da so innig an Alle die ich liebe, ich dachte an Sie mein edler, hoher Freund; ich dachte: "soll ich sterben, jetzt in dem er zum Feste seiner Geburtstag tantzt!," es ging Wehmuth mir durch die Seele; ich wünschte so innig Sie doch noch ein mahl zu sehen. Erst jetzt, aus Vernet, in den Pyrenäen, sende ich mein frischen, gesunden Gruß zu dem 24 Juni. In Genua war ich entschloßen das Schiff zu verlassen, Spanien aufzugeben und über Milano nach d: Schweitz mit der Diligence zu fahren, aber mein Kredit-Brief war nur auf Marseille und Malaga; in Genua konnte der dänische Konsul es nicht arangiren daß ich mein Geld da heben konnte, ich mußte nach Marseille, der Herr Gott wollte es!,

ich mußte wieder auf Schiff, und kam mit guten Wetter den 27 nach Marseille. Drey Tage habe ich mich da ausgeruht und gepflegt; die Luft war leichter, ich fühlte mich weit besser, und da kam die Lust und die Sehnsucht nach Spanien wieder. Der Konsul, aber meinte, es wäre doch ambesten ich ginge erst nach Vernet, um mich da etwas mehr zu stärken. Am Tische in Marseille, erblickte ich ein Fremder, der sah mich an; ich kannte ihm wieder, es war der Geiger Ole Bull, der zurück aus America kam, und in Franckreich mit Serenaden empfangen wurde; wir flogen einander entgegen, und er sagte, daß ich hätte eine Menge von Freunden in der neuen Wellt; mein Romane: nur ein Geiger, die englische Uebersetzung, war kürzlich nachgedruckt und mehrere tausende Exemplare, wohlfeile Ausgaben in die amerikanischen Staten ausgebreitet; er fügte zu man hatte vielen Fragen uber mich gemacht, und daß ich sehr beliebt und erkannt in America war; ach mein Gott, ich fühle mich ganz klein dabei, aber es ist eine Freude, eine Glück; warum habe doch ich, so viel gewonnen!, ich habe dabei ein Gefühl, als ob ich ein armer Bauerbube war, den mann einen Königs Mantel umwarf, und Huldigung und Ehre gab! ich muß etwas mehr leisten, etwas noch Besseres! der gute

Gott gebe mir Kräfte./

Nimes ist, seiner Antiquithetens wegen, eine auserordenlich interessante Stadt, das Amphitheater und das sogenannten "viereckige Haus", sind so erhalten, wie wenige Alterthümer in Italien. In Nimes habe ich auch den Bäcker Reboul besucht, Eurer Konigliche Hoheit erinnern an Lamartines Reise im Orient, wie schön Reboul da erwähnt wird; er ist Bäcker, aber ein ächte Dichter Franckreichs. Es ging mir bei Reboul ganz und gar wie es Lamartine ging: Ich kam in die Bäckerei hinein, und da ich nach dem Mann im Hause fragte, trat er im Hemd-Ärmeln und mit Mehl auf den Fingern mir entgegen; er war in voller Arbeite mit den Backen; ich sagte meine Nahme, und er kannte denselben aus der Revue de Paris, nahm mich freundlich auf und lud mich ein ihn um zwei Uhr zu besuchen, da fand ich ihn angezogen und in einem hübschen Zimmer mit Bibliothek und Bildern; sein Medallion von David hing auf der Wand; und Statuen standen über die Kamine. Wir sprachen über Deutschland und Dänemark und über sein Freund Lamartine. Durch Cette und Narbonne kam ich mat und leidend nach Perpignan, ich muß Spanien aufgeben, jetzt da ich wie Moses auf der Gränze steht und das gelobte Land sehe muß ich resignieren. Von Perpignan braucht man noch zwei Tage nach Barzelone aber zwei Tage, in dieser Sonne, ist eine Hölle; einmahl im Frühling muß ich es versuchen, das Leben hoffe ich ist noch lang! jetzt habe ich das Meinige gethan um nach Spanien zu kommen, aber in dieser Jahrzeit geht es nicht; selbst die Rückreise durch Südfranckreiche wage ich nicht früher als ich mich ein wenig mehr gestärckt fühlen; darum bin ich [gestr.: in Vernet] nach die Pyrenäen gegangen wohne in Vernet acht Tagen, von hier aus fliegt [aus: fliege ich meine Brieftaube nach Ettersburg. Vernet liegt zwischen Prades und der spanische Gränze; die Stadt ist arm und elend, liegt terrassenartig mit dunckelrothen Dächer, aber ohne Fenstern, nur offenen schwarzen Lucken, durch welche man in die Stuben hin ein sieht. Im Thale blühen Reben und Kastanien; hier ist Nord und Süd; grüne Thäler mit duftenden Heuschobern und wilde Kreusemünze, enge Klüfte wo Feigen / und Zypressen stehen, aber ringsherum sind wilde metalartige Gebirge, deren Gipfeln hervorspringenden Steinblokke tragen, die wie zerbrochenen Statuen und Säulen aussehen. Badegäste sind nicht viele. Ibrahim Pascha verbrachte hier drei Monathen, aber ist abgereist. Nach acht Tage gehe ich, so schnell wie möglich, die languedoc-Canal und die Rhone bis Lyon, nach Schweitz, und da hoffe ich in Genf einen Brief post restante, von Eurer Konigliche Hoheit zu finden, einen Brief der mich Glück und Freude gewähren wird, der mir sagt wo ich Eurer Konigliche Hoheit am Ende August finden kan, entweder auf Wartburg oder Ettersburg, da bleibe ich gerne 14 Tage, wenn Eurer Konigliche Hoheit, wie Sie mir gesagt habe, so lange Haus und Heimath geben wollen; ich habe Sehnsucht, Heimweh kann ich es nennen nach Weimar [eingefügt: nach Weimar]! Sie verstehen meine Gefühle mein inniger geliebter, hoher Freund!

Von Schweitz komme ich ueber Basel und Franckfurth, [gestr.: erst] nach Wartburg früher als nach Weimar.

Ich bringe meinen Danck und ehrfurchtsvollen Gruß an die hohen Eltern, an die vortreffliche Frau Erbgroßherzoginn, die konigliche Schwester aus Preusen, und an alle meine lieben Freunden und Freundinnen in Weimar: Frau von Groß, Beaulieu, Kansl: Müller &

Gebe Gott, das ich Eure Konigliche Hoheit gesund und glücklich wiedersehe. ewig und immer Euren Konigliche Hoheit

innig ergebener H.C. Andersen

Tekst fra: Ivy York Möller-Christensen