Dato: 6. maj 1850
Fra: Carl Alexander   Til: H.C. Andersen
Sprog: tysk.

80 Carl Alexander an Andersen

W.(eimar) den 6 Mai 1850.

Seit ich Ihren letzten Brief erhielt, mein lieber Freund, habe ich ein so bewegtes, so beschäftigtes Leben geführt, daß es mir bisher unmöglich war, meinem geistigen Dank den schriftlichen beizufügen. Daß Ihnen der Erste nicht gefehlt hat, nicht fehlen konnte, werden Sie Sich selbst bereits gesagt haben, nehmen Sie nun auch den Beweiß des Zweiten dar.

Mit ebenso viel Interesse als Freude habe ich die Skizze betrachtet, welche Sie mir von Ihrem neusten Mährchen-Stück entwerfen. Denn so muß ich es ja doch wohl nennen, da beide Begriffe in diesem Werke vereinigt sind. Daß es einen so glänzenden Erfolg gehabt, freut mich sehr, für Sie wie für das Publicum Kopenhagen’s, namentlich wenn der Success bei Letzterem den Beweiß liefern sollte, daß das Urtheil wirklich durch ein Verständniß und nicht blos durch / den Reiz der Neuheit, den Glanz der gefälligen Verwirklichung geflügelter Phantasie, geleitet wurde. Mich erinnert Ihr Stück an die Productionen Raimunds, welche in Deutschland viel Glück gemacht haben; es ist dies eine Form, welche wenn sie geschickt behandelt wird, viel Vortheil darbietet, es läßt sich viel sagen und bisweilen dem Publicum durch den Vergleich, in dem buntem Gewande des Mährchens, mehr und besser sagen als von Angesicht zum Angesicht. Diese Einwirkung auf das Publicum ist es, welche ich überhaupt als eine noch nicht genug weder erkannte noch verfolgte Wichtigkeit betrachte. Nicht genug kann ich sie dem Schriftsteller daher empfehlen. So viele betrachten die Kunst wie das leben als Zweck. Beide aber sind nicht Zweck, sie sind Mittel. Wie viel mehr Gutes und Wahres, wie viel mehr Großes und Schönes würde man in der Welt erreichen und erzeugen, wenn man diesem Grundsatz huldigte. -

/ Ich habe das Vergnügen gehabt gestern Abend die Realisation meines Wunsches auf unserer Bühne vor Augen zu sehen (aus: gehabt zu haben). Ein neues Trauerspiel: der Erbförster von einem ganz Unbekannten, Otto (L)udwig, wurde in Vollkommenheit gegeben. In diesem Stück wird gezeigt wie eine Mehrzahl edeler Charactere, dadurch daß sie die Verhältniße in welchen sie zu einander stehen nicht sorgfältig beobachten, sich selbst nicht vollständig beherrschen, in eine Reihe von unseligen Verwickelungen stürzen, die mit blutvergießen enden. Eine lawine sieht man heranwachsen aus einem unschuldigen Wortwechsel, Jede der beiden Hauptpersonen glaubt sich in seinem Recht und stürzt sich, darauf beharrend, ins Verderben. In greller Naktheit ist das Unwahre so vieler Doctrinen der Gegenwart dargestellt, ein wahrer Spiegel der (aus: des) Jetztzeit. - Seit Iffland, glaube ich, ist in Deutschland kein so gutes Stück geschrieben und über die bühne gegangen. /

Das Frühjahr ist endlich gekommen mit seinen Schwalben und blüthen, seinen sanften Regenschauern und warmen Sonnenstrahlen. Die Welt ist so schön und doch wie ernst und traurig ist in dieser Welt die jetzige menschliche Thätigkeit. O wie wahr daher der Satz:

Die Welt ist herrlich überall

Wo der Mensch nicht hinkommt

mit seiner Quaal!

Sie schildern mir den Frühling mit ein Paar Worten, welche die (aus: das) eigenthümliche Sehnsucht verrathen, die bei der Neubelebung der Natur in uns gewöhnlich erwacht. Sie ist mir oft räthselhaft erschienen. Sie sollten ein Mährchen darüber schreiben. - Wenn Sie doch Ihrer Sehnsucht folgten und hieherkämen!

Herzliche Grüße von allen hiesigen Freunden CA.

Tekst fra: Ivy York Möller-Christensen